Der Notfallplan – Kapitel 5

Hamburg

Der Landeanflug in Hamburg war trotz guter Bedingungen und frühherbstlichem Wetter holprig. Es mochte an der Maschine gelegen haben. Oder dem allgemeinen Flugverkehr. Es spielte keine Rolle für ihn. Freundlich verabschiedete er sich von der Crew und betrat den Flughafen.

Karl hatte kaum die Schiebetür aus Glas passiert, da hatte er sein Smartphone schon mit dem Netz verbunden und setzte das Gerät ans Ohr. Seine Tasche baumelte um seine Schulter. Den kleinen Koffer zog er an verwaisten Gepäckausgabebändern der Linienflüge vorbei.

„Ich bin gerade gelandet“, sagte Karl, ohne eine Begrüßung abzuwarten.

„Sehr gut“, sagte Jörn. Der Studioleiter des Hamburger Studios klang entspannt. „Ich habe dir einen Wagen geschickt. Der Fahrer steht in der Empfangshalle. Das war am einfachsten.“

„Einen Fahrer?“, Karl war überrascht. „Dir ist bewusst, dass ich selbst mit den Öffentlichen in weniger als einer halben Stunde im Sender wäre?“

„Ja,“ bestätigte Jörn. „Aber das sieht der Notfallplan nicht vor.“

Karl überlegte, ob er sich über dieses – in seiner Ansicht – unnötige Detail aufregen wollte. Entschied sich dann aber dagegen.

„Hast du Neuigkeiten von Sonja?“, fragte Karl.

„Wegen deiner Familie?“, fragte Jörn.

„Auch“, entgegnete Karl. „Aber eher zur Gesamtsituation. Ich habe seit Stunden keine Informationen und muss mich auf die Sendung vorbereiten.“

„Lass die Sendung mal meine Sorge sein. Die notwendigen Informationen bekommst du direkt von Sonja und Viola, wenn sie sie noch nicht geschickt haben sollten. So wie ich sie kenne ist da aber auch schon längst ein Update in deinem Posteingang.“

Karl überlegte kurz, ob er anhalten und seine Mails checken wollte. Er entschied sich dagegen. Jörn hatte Recht und er würde auf der Fahrt ins Studio ausreichend Zeit haben, um einen ersten Überblick zu bekommen. Im Sender könnte er sich dann detailliert damit beschäftigen.

Karl lief durch den Flughafen. Je näher er der Haupthalle kam, desto mehr Menschen begegnete er, die ebenfalls dem Ausgang zuströmten. Anscheinend waren gleich mehrere große Flieger gelandet. Menschen der verschiedensten Nationen und Herkünfte strömten dem Ausgang zu. Ein paar von Ihnen hatten es eilig. Sie wollten die ersten sein. Karl, der ebenfalls schnellen Schrittes unterwegs war, schwamm mit dem Strom und überholte, wie von ganz allein, die meisten der mehr oder weniger orientierungslos wirkenden Menschen auf dem Weg zur Zollabfertigung. Karl machte sich nichts daraus. Er hatte nichts zu verzollen und würde nicht warten müssen. Ganz abgesehen davon, dass er auch keine Zeit hatte, sich in einer langen Schlange anzustellen und darauf zu warten, seinen Pass zu präsentieren oder die Koffer durchwühlen zu lassen.

Der rege Betrieb an diesem Samstagnachmittag und die Ungeduld der Reisenden hatte auch vor dem Ausgang für Menschen mit einem europäischen Pass eine große Traube an Menschen entstehen lassen. Karl konnte sich nur langsam durch die wartenden Menschen schieben. Einige von ihnen reagierten aufgebracht und beschwerten sich, dass sie zuerst dran wären und Karl sich hinten anstellen solle. Eine Antwort, dass er sich gar nicht anstellen müsse ersparte Karl sich und strebte weiter. Jede Diskussion würde Zeit kosten. Vor dem Ausgang beobachteten ein paar Beamte die Situation mürrisch.

Zwischen den Menschen hindurch drückte sich Karl dem Ausgang entgegen und war froh, die Gruppe passiert zu haben. Karl stoppe kurz. Er korrigierte den Sitz des Riemens seiner Tasche auf der Schulter und fasste den Griff des Koffers fester, den er hinter sich herzog.

Ohne weiteres Zögern strebte Karl dem Ausgang zu. An den Augen der wartenden Beamten vorbei.

Einer der Beamten hielt Karl die Hand entgegen. Ein eindeutiges Signal, dass ihn die beiden Herren zu einem mehr oder weniger diskreten Gespräch baten.

„Sie können hier nicht durch“, sagte einer der Uniformierten. „Sie müssen durch den anderen Ausgang und sich hintenanstellen.“

Karl lächelte. „Aber ich muss nicht warten“, sagte er freundlich. „Ich habe einen deutschen Pass.“

„Und nichts zu verzollen?“, fragte der andere Mann und zeigte kurz auf den Koffer. Er war etwas größer und jünger als der erste Beamte.

„Bestimmt nicht“, sagte Karl und lachte ein wenig. Die für ihn harmlose Reaktion schien nicht die gewünschte Wirkung auf die beiden Männer zu haben.

„Dürfen wir mal nachsehen?“, fragte wieder der Erste.

Karl rollte mit den Augen und seufzte. Für sowas hatte er doch gerade echt keine Zeit.

Doch auch diese Reaktion entging den beiden Beamten nicht.

„Bitte“, sagte der Erste nur kurz und wies auf einen Tisch an einer der Wände. Er war so in der Nische positioniert, dass der Bereich nicht so gut einzusehen war, besonders dann nicht, wenn Menschen davorstanden.

Karl fügte sich dem Schicksal, begab sich zum Tisch und legte seine Tasche ab. Mit einem Schwung der Hand ließ er den Deckel aufklappen, damit die Männer hineinsehen konnten. Die Beamten trugen blaue Latex Handschuhe. Der jüngere Beamte machte sich sofort ans Werk und besah sich den Inhalt.

Unter den wachsamen Augen des anderen Beamten hob er den Koffer auf den Tisch und öffnete den Reißverschluss.

„Wo kommen Sie denn her?“, fragte der Mann und ergänzte: „Ich meine, von wo sind Sie abgereist.“

„Aus Tel Aviv.“

„Aus Tel Aviv?“, fragten beide Beamten im Chor. Offensichtlich waren die Nachrichten um den palästinensischen Angriff schon zu ihnen vorgedrungen.

„Es gibt noch Flieger aus Tel Aviv?“, erkundigte sich der Jüngere. „Uns hat man gesagt, dass der israelische Flugverkehr eingestellt wurde und ein Flugverbot ausgesprochen wurde.“

„Wie sind Sie denn da rausgekommen?“, fragte nun der Ältere. Karl glaubte, eine gewisse Skepsis in der Stimme zu hören. Es ließ den Mann misstrauisch erscheinen.

„Mit einer Charter-Maschine“, berichtete Karl.

„Charter?“, fragte der jüngere Beamte. Er schien nur Smalltalk betreiben zu wollen.

Die Hände des Älteren ruhten auf dem aufgeklappten Koffer, in den Karl hastig ein paar Klamotten gepackt hatte.

„Sind Sie was Besonderes?“, fragte der nun wieder und schob erneute eine weiter Erklärung hinterher: „Also, dass Sie Charter fliegen und so. Ist da viel Geld im Spiel?“

Karl wusste sofort, worauf der Mann hinauswollte. Er kannte aber die Regeln zur Einfuhr von Geld nach Deutschland.

„Ich bin Journalist“, sagte Karl und fragte sich sofort, ob seine Antwort nicht vielleicht ein wenig zu entrüstet geklungen habe.

„Soso“, sagte der Ältere. Anscheinend hatte er Karls Antwort doch nicht falsch aufgefasst. „Journalisten können sich Charterflüge leisten?“

Karl lachte leicht.

„Für gewöhnlich nicht. Um aus Krisengebieten rauszukommen, übernimmt das dann der Sender.“

Die Stimmung hob sich unter den dreien. Sie glaubten ihm.

„Welcher Sender?“, fragte der Jüngere.

„ARD“, sagte Karl und begann wieder, seine Sachen zusammen zu sammeln und den Koffer zu schließen. „Ich bin auf dem Weg zur Tagesschau.“

„Tagesschau?“, fragte der Ältere. Er klang leicht belustigt. „Kann man Sie dann also im Fernsehen sehen?“

„Heute schon“, sagte Karl, schulterte die Tasche und hob den Koffer von Tisch. Er verabschiedete sich kurz von den beiden Beamten und machte sich weiter auf den Weg nach draußen.

Sobald er die Haupthalle betrat, fiel Karls Blick auf eine große Uhr. Es war schon fast fünf Uhr am Nachmittag. Wo war nur die ganze Zeit hin?

„Siebeneinhalb Stunden Flug“, schoss es ihm durch den Kopf. Bis zur Tagesschau am Abend blieben nur noch knappe drei Stunden. Und er hatte sich noch nicht auf die Sendung vorbereitet. Und um seine Familie musste er sich auch kümmern.

Fast schon ziellos lief Karl durch die Empfangshalle. Menschen standen herum, gingen, saßen, warteten oder hetzten ungeduldig hin und her. Geschäftiger Betrieb, scheinbar unbeirrt und ignorant dem gegenüber, was gerade in der Welt passierte. Bis wohin waren die Nachrichten schon durchgedrungen, fragte er sich. Was wussten die Menschen schon und was würde sie interessieren? Welchen Einfluss auf sie und ihr Denken würde er am Abend haben, wenn es über die Geschehnisse in Tel Aviv berichtete? Welche Geschichte würde er ihnen erzählen können?

Wohl kaum seine eigene, dachte er, als er sich dem Ausgang näherte, vor dem einige Herren standen. Die meisten im Anzug. Sie alle hielten Schilder in der unterschiedlichsten Größen in der Hand. Namen standen darauf. Teils gedruckt, manche mir der Hand geschrieben.

Einer von ihnen hielt eine große laminierte Karte in der Hand, auf der das ARD-Logo prangte. Das musste der Mann sein. Er war nicht sehr groß. Sein kurzes, aber ungekämmtes graues Haar verriet, dass er älter war als Karl. Er hatte ein langes, faltiges Gesicht und kaute Kaugummi. Eine Trainingsjacke mit wildem Muster ruhte auf den Schultern. Darunter trug er ein Unterhemd, das bereit war die Definition der Farbe weiß neu zu überdenken. Um den Hals baumelte ein Goldkettchen mit einem kleinen Kreuz. Dazu trug der Mann schwarze Jeans, die an den Füßen im Schaft von schwarzen Cowboystiefeln endeten. Kleine silberne Stahlkappen waren auf die Spitze aufgesetzt.

„Herr Getlein?“, fragte der Mann, als Karl vor ihm hielt. Seine linke Hand hielt das Schild in einer lässigen Pose, angelehnt an eine Säule, die die Decke des Flughafens stütze. Die rechte ruhte in der Tasche der Trainingsjacke. Etwas umständlich fummelte der Mann sie hervor und hielt sie Karl entgegen.

„Ick bin Toni, ihr Fahrer, wa? Der Sender schickt mich, damit ich sie zur Tagesschau abhole“, sagte der Mann mit einem breiten Berliner Akzent.

Karl war so perplex, dass er sich durch kurzes Umherblicken vergewissern musste, dass er wirklich noch in Hamburg war und die Maschine nicht zum falschen Flughafen geflogen war[RL1] [RL2] [RL3] .

Nein, entschied er. Er war sich sicher. Das war Hamburg und er an den richtigen Mann geraten.

„Soll ick ihnen was abnehmen?“, fragte der Mann in breitem Berlinerisch und streckte die Hand nach Karls Koffer aus.

Bereitwillig übergab Karl den Henkel, an dem er den Koffer gezogen hatte.

„Danke“, sagte er.

„Der Wagen steht gleicht da drüben. So ha’m wir’s nicht so weit.“

Kaum hatten sie das Flughafengebäude verlassen, spuckte Toni seinen Kaugummi auf den Boden und fummelte aus der Jackentasche Zigarette und Feuerzeug. Karl konnte gar nicht schnell genug gucken und schon hatte der Mann einen qualmenden Glimmstengel zwischen den Lippen und zog genüsslich daran.

„Wollen Sie auch erstmal eine rauchen?“, fragte Toni, während er mit zügigem Schritt und dem Koffer an der Hand den Weg führte.

„Nein“, antwortete Karl und stellte fest, dass der Mann den Rauch, den er eingesog gar nicht ausstieß. Sein Körper schien den blauen Dunst einfach zu absorbieren.

„War der Flug wenigstens gut?“, fragte Toni. Karl versuchte im Gehen mit seiner Tasche, seinem Headset und Smartphone zurecht zu kommen. Er wollte endlich telefonieren. Der Mann ging aber trotz der kurz wirkenden gebogenen Beine und dem watschelnden Gang sehr schnell.

„Angenehm“, sagte Karl und war überrascht, wie er seine eigenen Sorgen und Ängste hinter einer einem einzigen Wort verstecken konnte.

„Nicht zu holprig, hoffe ich“, sagte Toni. „Ick mag kene Turbulenzen, verstehste?“

„Beim Abflug gab es einen Raketeneinschlag“, sagte Karl.

Toni hielt an.

„Wat denn für ne Rakete? So’n Silvesterknaller, oder was?“ Er zog an seiner Zigarette.

„Nein, schon so was Richtiges. Eine Bombe, wenn man so will.“

„Wo kommen Sie jetzt nochmal her?“, fragte Toni und zog eine Augenbraue hoch. Ihn hatten die Nachrichten der Welt anscheinend noch nicht erreicht.

„Aus Israel. Tel Aviv“, sagte Karl.

„Sie machen dat Studio in Israel hat meine Tochter gesagt. Da kracht es wohl häufiger, wie?“, fragte Toni. Karl wusste nicht, ob ihn die freundliche Unbekümmertheit des Fahrers Sorgen machen sollte. Der Mann wirkte, trotz seines Erscheinungsbilds und Karls Vorurteilen, aufgeschlossen, interessiert und intelligent – er war einfach ein lockerer Typ. Und mit einem Mal war Karl klar, dass er eine „ehrliche Haut“ getroffen hatte. So bezeichnete er Menschen, auf die man sich zu hundert Prozent verlassen konnte. Toni schien ein solcher Mensch zu sein. Absolut authentisch und mit dem Herz am rechten Fleck. Genauso wie es Moritz und Noor gewesen waren, als er sie getroffen hatte. Besondere Charaktere, die man schnell kennenlernte und auf deren ehrliche und tiefgründende Freundschaft man sofort zählen konnte.

„Nicht so schlimm, wie dieses Mal“, sagte Karl und sog die Luft kurz zwischen den Zähnen ein.

Toni nickte und sie setzten ihren Weg fort. Nach kaum zwei Minuten kamen sie an einer dunkeln Mittelklasselimousine an. Toni ließ mit der Fernbedienung die Türen entriegeln, die Blinker und die Scheinwerfer leuchteten kurz auf.

„Den ha’m sie mir für heute gegeben“, sagte Toni und machte sich sofort daran, den Koffer durch die Heckklappe zu heben. Er hatte ihn schon fast im Kofferraum platziert. „Brauchen Sie noch was aus dem Koffer?“

Karl schüttelte den Kopf und stieg in den Autofond. Toni ließ die Klappe fallen und warf die bis zum Filter abgebrannte Kippe weg.

Karl hatte sich kaum angeschnallt, da brauste der Wagen schon los.

Mit einer Hand lenkend, parkte Toni schuwungvoll aus und zog gleichzeitig den Sicherheitsgurt über seine Schulter. Kaum hatten die Teile ineinander gefasst, sauste die freie Hand zu einem kleinen Dose mit Kaugummis.

„Auch eins?“, fragte Toni und streckte die Hand mit der Dose in Karls Richtung.

„Nein, Danke“, sagte Karl. Er hatte Schwierigkeiten auf seinem Sitz zu bleiben, aber dennoch das beruhigende Gefühl, dass er Toni vertraute. Er machte seinen Job, er machte ihn gut. Und das imponierte Karl. Auch wenn er gerade noch nicht ganz im Auto angekommen war, wusste er, dass er Sekunden später die Ruhe finden würde, die er benötigte.

Und in der Tat. Kaum hatten sie das Flughafengelände hinter sich gelassen, steuerten sie auf die Stadt zu und Toni versetzte den Wagen weiter in zügige, aber ruhige Fahrt.

Sie fuhren auf die Autobahn auf und Karl zog seinen Laptop auf die Knie. Aus der Ledertasche fischte er seine Ohrstecker hervor. Kopfhörer konnte man zu den kleinen digitalen Geräten mit Bluetooth schließlich nicht mehr ernsthaft sagen, zumindest wenn man Karls Meinung dazu hören wollte.

Noch während der Laptop aus dem Schlafmodus erwachte, wurde die Verbindung zum Telefon in seinem Ohr bekannt gegeben. Sofort hatte er das Gerät wieder in der Hand und begann Madgas Nummer wählen zu lassen.

Zum Rhythmus des Tutens loggte sich Karl ein, rief das E-Mail-Programm auf und ließ die Nachrichten synchronisieren.

Da es ein paar Sekunden dauerte, bis die E-Mails von Sonja, Viola, Jörn und allen anderen die ihm im Laufe des Tages schreiben wollten, geladen waren, sah Karl aus dem Fenster. Genervt vom Tuten des Wartesignals unterbrach er die Verbindung. Eine Melange an Autos, Leitplanken, Warnbarken und Bäumen zog an ihm vorbei. Der Herbstnachmittag war sehr sonnig und irgendwie ganz anders als in Israel. Nicht nur die Landschaft unterschied sich. Es war eigentlich alles. Alles war anders und ruhiger. Er war in einer anderen Welt, dachte er und musste sich konzentrieren.

Es dauerte nicht lang und das Auto musste seine Geschwindigkeit reduzieren.

Toni lenkte den Wagen sicher durch den Verkehr, während Karl die neuesten Updates las. Der Stau, den eine große Baustelle hervorrief, ließ die normalerweise kurze Fahrzeit unerträglich wachsen und auf Karl lasten. Er sah auf die Uhr.

„Warum sind Sie nicht über die Bundesstraße gefahren“, fragte Karl. „Das wäre doch sicher schneller gewesen.“ Er sah, dass Toni kein Navigationsgerät nutze oder auf ein Smartphone spinkste. Das Auto war zu alt dafür, einen Navi direkt im Unterhaltungssystem verbaut zu haben.

Toni blickte in den Rückspiegel.

„Die hamse gesperrt übers Wochenende. Da ist eine andere Reisenbaustelle oder sowas“, berichtete Toni.

Karl wurde bewusst, wie wenig er darüber wusste, was hier in einem anderen Teil der Welt gerade los  war. Wunderbar, dachte Karl.

„Und ein anderer Weg wäre nicht kürzer gewesen?“, fragte Karl.

„Sicher. Auf dem Weg hierhin war hier auch noch nicht so viel los“, berichtete Toni mit entspannter Haltung und geübtem Blick nach vorne. Karls Anspannung schien ihn völlig kalt zu lassen.

„Ick weiß nicht, ob sie das so mitbekommen haben. Aber ick bin nicht von hier“, sagte Toni.

„In Hamburg bin ick erst sein ein paar Wochen. Meine Tochter macht ein Volontariat beim Sender und hat mir den Job verschafft.“

„Und eigentlich sind sie aus Berlin“, sagte Karl.

„Richtig.“

„Und was haben sie da vorher gemacht?“ Karl machte sich auf eine wunderbare Geschichte gefasst, die erklärte, warum er Toni für eine so ehrliche Haut hielt.

„Na, ick bin Taxi gefahren. Da kenn‘ ich mich bloß noch ein bisschen besser aus.“

Karl verstand und dachte einen Moment nach.

„Alle Taxifahrer, die ich kenne haben eins gemeinsam“, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Er kostete den Moment aus, zu sehen, wie er Tonis Interesse damit weckte.

„Wat hamse denn gemeinsam?“

„Alle guten Taxifahrer haben einen Instinkt. Sie haben einen besonderen Sinn dafür, in einer Stadt den schnellsten Weg zu finden. Auch dann, wenn sie sich eigentlich nicht auskennen. Haben Sie das auch?“

Toni lächelte. Er verstand die Herausforderung.

„Der schnellste Weg war bis vor ein paar Minuten noch hier entlang. Ick sehe aber auch, dass das da vorne nicht so schnell weitergeht. Wir haben aber eine Chance abzufahren. Wie das mit der Bundesstraße aussieht, kann ich jetzt nicht versprechen. Aber einen Weg um die Baustelle finden wir sicher herum. Ick hab‘ da eine Idee.“

Karl war gespannt und widmete sich wieder seinen E-Mails.